Verfasst von Josef Bickendorf für Running TV Bedburg
Der Marathon des Sables ist leider vorbei und ich werde nun versuchen, euch einige Eindrücke und Erlebnisse rüberzubringen. Würde ich nur ansatzweise versuchen, über alles zu berichten, über alle Erlebnisse und Emotionen, Bilder, Freundschaften, Freud und Leid … es würde den Rahmen sprengen. Aus diesem Grund reichen die Zeit und die Speicherkapazität meines Rechners leider nur für eine Kurzfassung.
Und hier für all diejenigen, die nicht wissen was der Marathon des Sables ist. Der MDS ist einer der härtesten, viele behaupten sogar der härteste, Etappen-Ultramarathon durch die marokkanische Sahara. Normalerweise ca. 245 km, 6 Etappen in 7 Tagen. In diesem Jahr wurde der Lauf wegen eines Jahrhundertunwetters auf 202 km, 4 Etappen in 5 Tagen gekürzt. Die Läufer tragen ihre persönlichen Utensilien und die Verpflegung für das gesamte Rennen mit sich. Die Organisation stellt lediglich das tägliche Wasser, was jedoch auf ca. 9 Liter pro Tag limitiert ist, und ein offenes Berberzelt zur Verfügung. In diesem Jahr starteten ca. 850 Extremsportler aus 39 Nationen.
Donnerstag, 26.03.2009:
Endlich geht es auf nach Frankfurt. In der Flughafenhalle treffe ich sofort auf andere MDS-Teilnehmer, die man auf den ersten Blick sofort erkennen kann. Jeder hat seinen Laufrucksack als Handgepäck dabei und seine Laufschuhe an; denn alles darf verloren gehen, aber nicht die Laufausrüstung. Um 13.50 Uhr geht es zuerst von Frankfurt aus nach Casablanca, dort haben wir fast 8 Stunden Aufenthalt und es dauert nicht lange bis wir uns zu einer kleinen Gruppe zusammengefunden haben; wir beschließen gemeinsam im Biwak ein gemeinsames Zelt zu teilen. Das sind im Einzelnen Anette aus Düsseldorf, Claudia aus Aachen, die von einem Arte-Filmteam begleitet wird, Peter aus Gratz, Frank aus Mönchengladbach, Michi aus München und Hubert irgendwo aus Deutschland. Wir alle verstehen uns auf Anhieb und werden für die nächsten Tage eine super Gemeinschaft sein. Danach fliegen wir weiter nach Quarzazate. Um 01.00 Uhr sind wir durch den Zoll und werden mit dem Bus ins Hotel gebracht; um 02.00 Uhr liegen wir schließlich im Bett.
Freitag, 27.03.2009:
Heute Morgen werden wir um 05.00 Uhr durch den Muhizin geweckt und gehen um 07.00 zum Frühstück. Ab nun beginnen die schlimmsten Stunden meines Lebens! Als ich aus dem Fenster schaue, regnet es in Strömen. Zuerst machen wir uns keine größeren Gedanken um das Wetter und frühstücken in aller Ruhe. Anschließend geht es mit den Bussen in Richtung Wüste und während der Fahrt erhalten wir endlich unser Road Book. Der Regen wird immer schlimmer und nirgendwo am Himmel ist eine Besserung in Sicht. Nach 90 Minuten Fahrt müssen wir einen Fluss durchfahren, doch aus dem Fluss ist ein reißender Strom geworden, ein Durchfahren ist unmöglich. Da es die einzige Strasse ist und ein Wenden unmöglich erscheint, bleibt nur eine Möglichkeit: Abwarten bis der Wasserstand sinkt. Nach Angaben der Einheimischen dauert dies ca. 2 bis 3 Stunden, aber es regnet immer weiter. Nach 5 Stunden räumen wir unser ganzes Gepäck aus dem unteren Laderaum des Busses ins Innere und wagen den Versuch, den Fluss zu durchfahren; oh Wunder: Es gelingt. Alle machen sich mittlerweile Gedanken, wie wir im Camp übernachten sollen, denn unsere Zelte sind lediglich Berberzelte, d. h. ein Dach aus Wollstoff mit offenen Seiten und einem Boden aus Berberteppich; das Ganze natürlich nicht wasserdicht. Wie sollen wir uns mit unseren Schlafsäcken dort bloß hinlegen? Nach weiteren 3 Stunden Fahrt mit unaufhörlichem Regen kommen wir in Erfoud an. Dort erreicht uns als erstes die Schreckensmeldung: Das ganze Biwak ist überflutet und nicht zu erreichen! Doch Patrick Bauer schafft die Meisterleistung und bringt über 900 Teilnehmer in Hotels unter; damit ist der 1. Tag in der Wüste gestorben. Es regnet immer weiter und meine Stimmung erreicht einen neuen Tiefpunkt.
Samstag, 28.03.2009:
Am Morgen stehen wir auf und es regnet schon wieder. Die einzige Information, die wir bekommen, ist die, dass die 1. Etappe gestrichen ist und sollte es weiter regnen, so wird der gesamte MDS abgesagt. Für mich bricht eine Welt zusammen, bin nicht mehr ansprechbar und könnte heulen! Ein Jahr Vorbereitung und Vorfreude scheinen wie eine Seifenblase zu zerplatzen. Zum Glück treffe ich auf Barbara und sie überredet mich zu einem Spaziergang durch Erfoud. Wir laufen durch die ganze Stadt und besuchen einen orientalischen Markt, der durch den ganzen Regen im Schlamm versinkt. Abends im Hotel erhalten wir die Information, dass am Sonntag die technische und medizinische Kontrolle in einem anderen Hotel durchgeführt wird.
Sonntag, 29.03.2009:
Nach dem Frühstück fahren wir mit Bussen zur erwähnten Kontrolle, d.h. erst 1 Stunde Warten in einer Schlange, dann die Überprüfung der Ausrüstung nach Gewicht und Pflichtausrüstung, wie z.B. 2000 kcal/Tag, Kompass, Spiegel, Pfeife, Messer, Feuerzeug, Schlangenbissvakuumpumpe, Desinfektionsmittel … Anschließend wird die medizinische Kontrolle vorgenommen: Vorlage des Gesundheitszeugnisses sowie Ruhe- und Belastungs-EKG, Befragung durch einen Arzt und Unterweisung im Umgang mit den überlebensnotwendigen Salztabletten: Nach den Angaben der Ärzte sollten mindestens drei Stück je 1,5 l Wasser genommen werden. Danach erhalte ich endlich die mitführungspflichtige Leuchtrakete, 2 Startnummern, 1 Beutel mit Salztabletten und meine Wasserkarte. Als Patrick Bauer verkündet, dass am Montag der MDS gestartet wird, jubeln alle Teilnehmer und die Welt ist wieder in Ordnung.
Montag, 30.03.2009:
Die ganze Nacht hatte ich Magen- und Darmprobleme und leide unter starkem Durchfall. Um 07.00 Uhr geht es mit Bussen zum Start in die Wüste. Wir bekommen ein neues Road Book aus dem hervorgeht, dass es heute auf eine 33 km lange und äußerst anspruchsvolle Strecke geht. Um 10.30 Uhr starte ich endlich, mit 11,5 kg auf dem Rücken. Zuerst geht es über eine Geröllebene in Richtung Dünen, die schon von weither einen imposanten Eindruck machen: Ich habe noch nie so riesige Dünen gesehen! Später erfahre ich, dass sie über 500 m hoch sind. Nach 4 km geht es endlich in die Dünen: In einem ewigen Wechselspiel bezwinge ich eine Düne nach der anderen: Stetiges Bergauf und Bergab! Ich laufe mir den gesamten Frust der letzten Tage von der Seele; mit viel zu hohem Tempo, doch der MDS wird nicht nur mit den Beinen sondern auch im Kopf bewältigt. Plötzlich treffe ich Hubert und da es einen Riesenspaß macht durch die ab sofort getauften „Mörderdünen“ zu laufen, fangen wir an, uns gegenseitig zu fotografieren. Oft bezwingen wir eine Düne zweimal, um bessere Fotos zu schießen. Danach treffe ich auf Michi und wir laufen gemeinsam, Kilometer für Kilometer und es wird immer heißer. Die Eindrücke der Landschaft sind unbeschreiblich, kein normaler Tourist wird diese zu sehen bekommen: Das Farbspiel von Himmel, Sonne und Sand ist einfach unbeschreiblich! Trotzdem begleiten mich natürlich auf dem ganzen Weg meine Magen/Darmprobleme. Nach 14 km laufen wir durch ein Wadi, eigentlich ein ausgetrocknetes Flussbett, welches sich jetzt jedoch in ein riesiges Schlammbecken verwandelt hat. Meine Schuhe werden durch den anhaftenden Schlamm schwerer und schwerer. Dann der 1. Kontrollpunkt, d.h. Wasserflaschen im Anlaufen aufschrauben und Getränkepulver einfüllen, in die Kontrollstelle einlaufen, Wasserkarte abknipsen lassen, 1,5 Liter Wasser in meine Flaschen umfüllen, die alten Flaschen in Sammelbehälter werfen und wieder auf die Strecke zurückkehren. Auf jeder zur Verfügung gestellten Wasserflasche samt Deckel steht meine Kontrollnummer und sollte irgendwo in der Wüste Müll von mir gefunden werden, so wird dies hart bestraft. Nun geht es weiter über Geröll, dann kleine Dünen, immer wieder auf – und ab, dann über einen Berg, durch ein verlassenes Dorf aus Lehmhütten zum nächsten Kontrollpunkt. Diesen passiert, geht es auf eine unendlich lang wirkende Steinebene, ein Flussbett, wieder über Geröll und Felsen und wieder in Richtung „Mörderdünen“. Kurz vor Erreichen der Dünenspitze bekomme ich einen Krampf im rechten Oberschenkel und werde fast ohnmächtig vor Schmerzen, zum Glück laufe ich mit Michi zusammen und er kann mich auffangen. Michi begleitet mich noch bis zur Spitze der Dünen und von dort aus laufe ich langsam in Richtung des Biwaks, der sich in ca. 3 km Entfernung befindet. Nach dem Etappenziel erhält jeder Läufer 4,5 Liter Wasser, die bis zum nächsten Tag ausreichen müssen.
Im Biwak geht es zum Zelt: Schuhe und Socken aus, Blasen an den Füssen aufstechen, desinfizieren und an der Sonne trocknen lassen.
Während ich mir mein Essen koche, trifft nach und nach jedes Mitglied meiner Zeltgemeinschaft ein.
Um 19.00 Uhr bereiten wir unser Nachtlager vor und 1 Stunde später liegen wir bereits frierend in unseren Schlafsäcken. Sobald die Sonne untergeht, wird es bitterkalt, in der Nacht sinken die Temperaturen bis an den Gefrierpunkt.
Dienstag, 31. März 2009
Gegen 06.00 Uhr wache ich frierend in meinem Schlafsack auf. Ich nehme mir 3 Powerbar Riegel aus meinem Rucksack und verschwinde zum Frühstück wieder in meinem Schlafsack. Um 08.00 Uhr stehe ich auf und spule mein nun morgendliches Programm ab: Blasen abtapen, Füße eincremen, Laufsachen anziehen, Rucksack packen, Sonnencreme LSF 50 auftragen und auf geht es zum Start. Patrick Bauer hält wie jeden Morgen eine Ansprache, u. a. werden die Geburtstagskinder bekannt gegeben und mit einem „Happy Birthday“ gefeiert. Um 09.00 Uhr wird der Start freigegeben. Frank kann wegen seiner Magen/Darmerkrankung nicht mehr starten und steigt aus dem Rennen aus. Auch bei mir ist keine Besserung in Sicht, aber ich will versuchen, weiterzulaufen.
Zuerst geht es wieder über „Mörderdünen“, dann über eine unendlich wirkende Ebene aus Geröll, Dünen und Felsen; über einen Berg und hin und wieder durch etwas Vegetation zum 1. Kontrollpunkt des Tages. Dort wie immer die gleiche Prozedur.
Anschließend geht es über eine Hochebene aus Geröll, Felsen und wahnsinnig spitzen Steinen, bei immer weiter steigenden Temperaturen und absoluter Windstille. Ich passiere wieder einmal ein schlammgefülltes Flussbett und erreiche die nächsten „Mörderdünen“. Dieses Mal sind die „Mörderdünen“ so steil, dass es 10 Schritte rauf, aber auch 9 Schritte wieder zurückgeht. Von oben habe ich einen fantastischen Ausblick auf die umliegende Landschaft und das bereits in der Ferne sichtbare Biwak, somit habe ich auch die 2. Etappe mit 39 Kilometern geschafft! Und die allabendliche Prozedur beginnt auch hier, einzige Ausnahme: Heute haben ich außer Blasen an den Füssen drei Zehennägel verloren, autsch! In unserem Zelt herrscht eine tolle Kameradschaft und die Stimmung könnte nicht besser sein. Wir gehen früh schlafen, denn morgen steht die längste Etappe bevor!
Mittwoch, 01. April 2009
Heute Morgen werde ich erst durch die Berber geweckt. Sie strömen ins Biwak ein, reißen die Zelte ohne Vorwarnung über unseren Köpfen ein und wir sitzen im Freien. Die Temperaturen in der Nacht wie zuvor, Startvorbereitungen ebenfalls.
Das neue Road Book wird verteilt und wir bekommen alle einen Riesenschreck: Die heutige Etappe ist mit 91 Kilometern die längste Etappe in der Geschichte des MDS!!!
Da hat Patrick Bauer sich etwas Besonderes als Ausgleich für die gestrichene 1. Etappe einfallen lassen; dafür dürfen wir aber als Belohnung heute die Kalorien, die wir für die letzte Etappe vorhalten müssen, zusätzlich verzehren. Das hat natürlich zur Konsequenz, die letzte Etappe ohne Verpflegung laufen zu müssen! Ich werde wieder gemeinsam mit Michi laufen und wir haben uns eine hoffentlich gute Taktik für diesen Lauf zusammengestellt. Wir möchten ohne größere Pause durchlaufen, d.h. an den Verpflegungsstellen möchten wir maximal 3 Minuten verbringen, damit die Muskeln nicht anfangen zu ermüden. Und so gehen wir an den Start. Auf der Strecke wird uns alles geboten, was die Wüste zu bieten hat. Am schlimmsten, aber auch am schönsten, sind die unendlich wirkenden Ebenen mit Sand, Geröll, Fels und spitzen Steinen. Jeder einzelne Stein drückt sich durch den Schuh und verursacht an meinen entzündeten Zehen einen Schmerz. Ich rechne mir aus, dass ich dieses Gefühl heute wohl noch 120.000-mal ertragen muss. Meine Magen-Darm Probleme haben sich ebenfalls nicht verbessert, ganz im Gegenteil, sie werden immer mehr zum Problem. Heute herrscht starker Gegenwind der zwar etwas gegen die immer weiter steigenden Temperaturen hilft, mich aber wie in einem Heißluftherd austrocknet. Trotz allem macht der Lauf Spaß und wir spulen unser Programm runter. Michi und Ich laufen wie ein Uhrwerk, immer die gleiche Belastung, immer wechselnde Führungsarbeit, immer wieder gegenseitig an das Trinken, an die Salztabletten und an das Essen erinnern. Wegen des starken Gegenwinds müssen wir unser Gesicht immer wieder vor dem Sandsturm schützen, aber auch das gehört dazu. Doch dann, bei km 45, stehen wir vor einem Berg und so wie es aussieht, müssen wir dort rauf: durch eine supersteile Felsenschlucht, ohne irgendeine Art von Weg, einfach nur nach oben, klettern, klettern, klettern. Diese Herausforderung ist mehr als grenzwertig und wir bedauern bereits jetzt diejenigen Läufer, die hier bei Dunkelheit rauf müssen. Oben angekommen bietet sich uns ein beeindruckender Ausblick auf das gesamte Umfeld. Wir sehen, dass es genau so steil bergab geht, nur das auf der Bergseite alle Zwischenräume zwischen den Steinen mit Sand gefüllt sind, was das Ganze nicht erleichtert. Unmittelbar nach dem Abstieg geht es wieder in neue „Mörderdünen“ und prompt verlaufen wir uns zum ersten Mal. Die auf einer Dünenspitze vermutete Markierung stellte sich, als wir dort hingelaufen sind, als ein Hirte der mit einer Herde Dromedare in der Wüste unterwegs ist, heraus. Somit laufen wir einige Kilometer Umweg, finden jedoch schnell wieder zurück auf unseren Kurs. Den 5. Kontrollpunkt bei km 65 erreichen wir noch im Hellen, was wir uns im Vorfeld nicht zugetraut hätten. Hier müssen wir ausnahmsweise von unserer 3 Minuten-Taktik abweichen denn Michi muss seine Füße behandeln und so brauchen wir über 10 Minuten. Aus diesem Grund nehme ich meinen Rucksack kurz runter und fülle neue Verpflegung in meine Fronttasche und hole meine Stirnlampe raus. Meine Sonnenbrille und Kappe verstaue ich im Rucksack, denn innerhalb weniger Minuten ist es dunkel. Von nun an wird das Laufen schwieriger. Wir müssen uns nun ganz auf die Strecke konzentrieren, denn es geht wieder einmal über ein unendlich vorkommendes Geröllfeld, keine Möglichkeit auch nur kurz den Blick von der Strecke zu nehmen. Ein übersehener Stein hätte einen Sturz zur Folge. Wir laufen wieder Kilometer für Kilometer und konzentrieren uns voll auf den Untergrund und trotzdem passiert es plötzlich, dass ich stürze. Zum Glück verletze ich mich nicht, aber ich stelle mit Erschrecken fest, dass ich meine Wasserkarte am letzten Kontrollpunkt liegen gelassen habe. Was nun, noch einmal zum Kontrollpunkt und wieder zurück würde zwei Stunden dauern, und das auf der langen Etappe, unmöglich. Also entschließe ich mich weiterzulaufen und die drei Strafstunden für eine verloren gegangene Wasserkarte in Kauf zu nehmen. Als wir den 6. Kontrollpunkt erreichen, möchte ich gerade den Verlust meiner Wasserkarte melden, als einer der Kommissare mir meine Karte entgegenhält. Nachdem Sie meine Karte gefunden hatten, haben Sie sofort ein Fahrzeug losgeschickt und die Wasserkarte zum nächsten Kontrollpunkt gebracht, ich hätte Ihn küssen können und fand diese Geste einfach toll. Danach ging es sofort wieder auf die Strecke und der nächste Kontrollpunkt wird bereits 5 km vor Eintreffen sichtbar. Hier haben die Organisatoren einen Laserstrahl in den Himmel gerichtet, da er sich in einem Tal befindet. Da es der letzte Kontrollpunkt ist, schaffen wir unseren Stopp in nur 2 Minuten und mit der Gewissheit nur noch 12 km laufen zu müssen geht es nun auf zum Endspurt. Wir rechnen uns aus, dass wir es schaffen könnten, weit vor 24:00 Uhr das Ziel zu erreichen. In Wirklichkeit treffen wir völlig überrascht noch vor 23:00 Uhr nach 13 Stunden und 35 Minuten im Ziel ein. Nun haben wir nur noch einen Gedanken: Ab ins Zelt, etwas Essen und Trinken, und dann Schlafen. Dadurch dass Frank, obwohl er ausgeschieden ist, weiterhin in unserem Zelt übernachtet, nimmt er uns in Empfang. Wir schaffen es nicht mehr alleine aus unseren Rucksäcken raus zu kommen, so erschöpft sind wir, fallen einfach nur noch ins Zelt und können uns kaum noch bewegen, kochen noch etwas zu essen, aber ich bekomme vor lauter Erschöpfung nur die Hälfte runter. Danach ist nur noch schlafen angesagt, lediglich als Hubert und Peter eintreffen werde ich noch mal wach und kann sie begrüßen.
Donnerstag, 02. April 09
Heute steht nur faulenzen und Wunden lecken, was ich gestern Abend nicht mehr geschafft habe, auf dem Programm. Gegen Mittag trifft auch Claudia im Biwak ein, nur unsere Anette fehlt noch. Als sie am Nachmittag immer noch nicht da ist, machen wir uns bereits Sorgen. Sie hat zwar 35 Stunden Zeit, aber wir befürchten, dass sie Probleme bekommen hat. Und dann kommt Sie, jedoch mit einer Schreckensnachricht, sie musste bei km 86 aufgeben, hatte starke Schmerzen im Unterschenkel und da Sie von den DOC Trotters bereits ihre Maximalmenge an Schmerzmittel bekommen hatte, musste Sie 5 km vor dem Ziel aufgeben. Aber sie trägt es mit Fassung, zumindest nach außen hin und freut sich dabei gewesen zu sein. Da wir heute viel Zeit haben, schauen Michi und ich gemeinsam zum ersten Mal in die ausgehängten Ergebnisslisten und was sehen wir völlig überraschend: Wir sind unter die ersten Hundert Läufer, Michi dazu noch schnellster und ich zweitschnellster Deutscher, obwohl wir immer nur auf ankommen gelaufen sind, und da wir uns noch recht fit fühlen, möchten wir versuchen diese Stellung zu behalten. Gegen Abend gibt es dann jedoch noch mal eine schlechte Nachricht: Die letzte Etappe am Samstag ist gestrichen, es gibt keine Möglichkeit eine Strecke zu finden, die uns an den Rand der Wüste bringt. Überall gibt es noch Täler die so verschlammt sind dass man sie nicht durchlaufen kann. Somit ist die morgige 42 km Etappe die Letzte, schade!
Freitag, 03. April 09
Nach dem allmorgendlichen Ritual und dem Berberüberfall geht es heute mit einem mittlerweile doch erheblich leichteren Rucksack an den Start zur letzten Etappe. Heute ist es besonders heiß, aber Michi und ich möchten heute noch mal richtig Gas geben. Wir fühlen uns gut und werden wieder gemeinsam laufen. Nach dem Start geht es zuerst über eine Steinebene, dann über einen Berg und anschließend durch Dünen, Geröllfelder und einem ausgetrocknetem See. Ab km 6 hat Michi Probleme mit seinem rechten Knöchel und wir müssen etwas Tempo rausnehmen. Da unser Vorsprung aber komfortabel ist, machen wir uns keine größeren Gedanken und laufen weiter bei immer weiter steigenden Temperaturen. Heute laufen wir sogar in der Nähe eines Dorfes vorbei und haben somit auch einmal einige Zuschauer, danach wieder über weite Ebenen und wieder in Richtung eines Gebirges. Als wir anfangen die Berge hoch zu laufen, 12 km vor Ende der Etappe, kann Michi vor Schmerzen kaum noch laufen. Er möchte eine Schmerztablette von mir, also bleibe ich stehen, während er langsam weiterläuft, räume meinen gesamten Rucksack aus, um an die Tabletten zu gelangen, danach alles wieder verstauen und Michi hinterher sprinten. Dabei stürze ich und falle in einen Geröllhaufen, verletze mich am Arm, muss aber weiter. Als ich Michi einhole, nimmt er sofort die Tablette, kann aber kaum noch laufen. Da uns nun einer nach dem anderen überholt, möchte Michi, dass ich alleine weiterlaufe, damit wenigstens einer von uns in die Top 100 läuft und schnellster Deutscher wird. Das würde aber für mich bedeuten, ihn hier alleine zurückzulassen, jemanden mit dem ich drei Etappen gemeinsam gelaufen bin, mit dem ich mich 13 Stunden auf der langen Etappe durchgeschlagen habe, wo wir uns so gut angefreundet haben. Nein, das ist nicht das, was ich mit nach hause nehmen möchte. Der Marathon des Sables ist anders und ich bin froh, dass ich mich nicht wirklich entscheiden muss, und so laufen wir gemeinsam weiter. Als uns ein Engländer überholt und Michi kaum noch laufen kann fragen wir ihn, ob er einen seiner Nordic Walking Stöcke abgeben könnte, was er ohne jegliches zögern macht. Aber auch damit kann Michi immer noch nicht laufen, also sprinte ich dem Engländer hinterher und frage ihn, ob er auch seinen zweiten Stock abgeben könnte, auch das macht er sofort, ich laufe mit dem Stock zurück. So beißt Michi sich die letzten 10 km bis zum Ziel durch. Gemeinsam laufen wir wieder einmal durchs Ziel, den MDS bezwungen, bekommen die lang ersehnte Medaille und jeder wird von Patrick Bauer persönlich gratuliert.
Viele Läufer die das Ziel erreichen, jubeln, heulen vor Freude, fallen sich in die Arme vor Glück oder brechen vor Erschöpfung fast zusammen. Die Emotionen die sich hier zeigen, sind unbeschreiblich, das muss man einmal im Leben miterlebt haben. Michi schleppt sich in Richtung Zelt, aber ich möchte noch auf Claudia warten. Als sie ins Ziel einläuft, heult auch sie vor Freude, ist eine ganze Zeit lang nicht ansprechbar, selbst das Filmteam steht heulend im Zielbereich.
Nachdem wir uns alle etwas ausgeruht und jedem Finisher gratuliert haben, gibt es heute Abend endlich mal wieder etwas Richtiges zu essen, ein Buffet im Biwak. Mein Magen hat sich jedoch so an die hochkonzentrierte Nahrung gewöhnt so dass ich nur wenig essen kann, zudem leide ich immer noch an starkem Durchfall. Nach dem Essen gibt es noch ein Konzert auf einer riesigen Bühne, mitten in der Wüste, da es aber wieder kalt wird sobald die Sonne verschwunden ist, legen wir uns gemeinsam in unsere Schlafsäcke eingepackt ins Zelt und hören der Musik von dort aus zu.
Samstag, 04. April 09
Nach dem Aufstehen packe ich meine Sachen zusammen und es geht zum Frühstücksbuffet. Da Michi alleine nicht laufen kann schleppe ich ihn zu den DOC Trotters doch wirklich helfen können sie ihm nicht. Danach schaue ich in die ausgehängten Ergebnislisten und muss feststellen, dass wir trotz aller Probleme immer noch eine gute Platzierung hinbekommen haben: Michi ist auf Platz 97 und immer noch schnellster Deutscher, Ich liege auf dem undankbaren Platz 101 und bin zweitschnellster Deutscher, wer hätte das für möglich gehalten. Anschließend fahren wir mit Bussen zurück nach Quarzazate ins Hotel COS. Dort gibt es am Abend noch mal ein Buffet, anschließend feiern wir mit viel zu viel Wein unseren Erfolg. Zu uns, die Zelt 61 Truppe, gesellen sich noch Marion und Barbara, die leider eine nicht so tolle Zeltgemeinschaft hatten und sofort beschließen wir, sie im nächsten Jahr bei uns aufzunehmen.
Sonntag, 05. April 09
Nach dem Frühstück gehen wir in ein benachbartes Hotel, dort bekommen wir unser Finisher Shirt und haben die Möglichkeit in der MDS Boutique fleißig einzukaufen. Danach bummeln wir durch die Stadt, gehen über den Markt und am Abend gehen wir in einem kleinen marokkanischen Restaurant gemütlich essen. Zum Abschluss trinken wir dann im Hotel noch ein paar Flaschen Wein und gehen ins Bett.
Montag, 06. April 09
Um 3 Uhr geht der Wecker, aufstehen, frühstücken und um 4 Uhr mit dem Bus zum Flughafen. Von dort geht es um 6 Uhr nach Casablanca und von dort weiter nach Frankfurt. Am Flughafen werde ich von der halben Familie und einigen Freunden in Empfang genommen. Ich verabschiede mich von der „Zelt 61“ Truppe sowie von Marion und Barbara und nun trennen sich, wenn auch hoffentlich nur für kurze Zeit, unsere Wege. Zuhause angekommen, wartet die nächste Überraschung auf mich: Eine Feier mit Familie, Freunden, Nachbarn und der Laufgruppe, was dem Ganzen noch den letzten Schliff verleiht.
Der Marathon des Sables, für mich eines der schönsten Erlebnisse meines Lebens: Eine Reise ins innerste Ich, alleine in der Wüste, reduziert auf des absolut Lebensnotwendigste; zu wissen, wie wertvoll Wasser ist; zu erfahren, was es heißt, über seine Grenzen hinweg weiterzulaufen; zu erleben, dass Freundschaft wichtiger ist, als eine Zahl in einer Ergebnisliste, eine Erfahrung, die man nicht beschreiben kann, nur selber erfahren.
Aber den Marathon des Sables schafft man nicht alleine, das ist die Leistung Vieler. Ohne die Unterstützung meiner Familie bei all den Wettkämpfen an denen ich zur Vorbereitung teilgenommen habe, die vielen hundert Trainingskilometer, die Unterstützung durch die Laufgruppe und die User von meinsportplatz, die mich oft unbewusst durch ihre Beiträge und Tipps ermuntert haben, weiter zu machen, die Emails abends im Biwak, wenn ich kaputt im Schlafsack gefroren habe und ohne Michi hätte ich das alles nicht schaffen können. An alle ein herzliches Danke, ich habe euch viel zu verdanken und hoffe, mich irgendwann einmal revanchieren zu können.